Mit großen blauen Augen schaut sich Max im Raum um. Die Giraffe hat es ihm angetan. Zielstrebig schnappt er sich die
gelbe Figur und steckt sie sich in den Mund – ganz normal für ein elf Monate altes Baby. Dass er auf dem Boden rumkrabbelt und seine Umgebung erkundigt ist für seine Mama etwas ganz besonderes. Stefanie Österwitz aus Beelitz sagt ganz klar: „Max ist ein Wunder“.

Wir treffen Frau Österwitz und den kleinen Max zum Gespräch auf der Station der Geburtshilfe im Potsdamer Klinikum. Dieser Ort ist für die heute 39-jährige geprägt von Höhen und Tiefen; hier hat sie bereits alle Emotionen durchlebt: von tiefster Trauer bis zur absoluten Freude.

Hoffnung und Mut niemals verloren

­­­­­­­­­­­­­­­­Es ist ihre erste Fehlgeburt im Jahr 2017, die sie in das Klinikum Ernst von Bergmann führt. Damals wird sie zur medizinisch notwendigen Ausschabung in die Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe überwiesen. Zu diesem Zeitpunkt ahnt noch keiner, dass vier weitere Fehlgeburten folgen werden; alle vier Sternenkinder hat sie noch vor der 16. Schwangerschaftswoche verloren.

„Warum führte mein Weg mich immer wieder ins Bergmann Klinikum? Ich war davon überzeugt, dass man mir hier helfen kann. Über die Jahre hinweg habe ich eine positive Entwicklung auf der Station erlebt. Der Umgang wurde sehr persönlich und herzlich. Das war auch einer der Gründe, weshalb ich nicht woanders hingehen wollte.“

Stefanie Österwitz, Patientin der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe

Die Ärzt*innen nähern sich dem Kinderwunsch von Frau Österwitz zuerst über eine umfassende Diagnostik. Dazu gehörten unter anderem eine Gebärmutterspiegelung, Vorstellung in der Gerinnungssprechstunde, Gabe von Uterogest sowie Blutuntersuchungen, um Gendefekte oder ähnliches auszuschließen. Letztendlich steht der Verdacht einer Gebärmutterhalsschwäche als Grund für die wiederholten Fehlgeburten im Raum.

Mit totalem Muttermundverschluss zum Wunschkind

In 2022 wird Frau Österwitz zum fünften Mal schwanger – und bei dieser Schwangerschaft soll alles anders werden. Sofort nach dem positiven Testergebnis sucht sie die Sprechstunde von Oberarzt Dr. med. Alfredo González auf. Mit Hilfe seiner Kollegin, Oberärztin Dr. med. Sabrina Marquardt, hat er sich schnell in die Vorgeschichte von Frau Österwitz eingearbeitet und ist auf der Suche nach einer Erklärung für die vier Fehlgeburten. Auch für ihn scheint der inzwischen nachgewiesen geschwächte Muttermund eine entscheidende Rolle zu spielen. Ob dieser durch eine unbemerkte Infektion oder durch eine allgemeine Bindegewebsschwäche entstanden war, ist schwer zu sagen. Entscheidend ist jedoch, dass durch diese Diagnose nun sehr frühzeitig gehandelt wird, um eine erneute Fehlgeburt zu verhindern. Frau Österwitz muss in der 13. Schwangerschaftswoche operiert werden.

„Ein totaler Muttermundverschluss ist ein komplizierter Eingriff, den wir unter Vollnarkose durchführen. Der Muttermund wird dabei in mehreren Schichten komplett zugenäht, so dass keine Verbindung mehr zwischen Gebärmutter und Scheide besteht. Zudem wird ein feines Netz mit eingenäht, wodurch ein Aufsteigen von Infektionen mit der möglichen Folge einer Früh- oder Fehlgeburt verhindert werden soll“,  erklärt der Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe den chirurgischen Eingriff, der jährlich bis zu 40 Mal im Klinikum EvB durchgeführt wird.

Frau Österwitz erinnert sich an damals zurück und ergänzt: „Am Anfang hatte ich ein paar Bedenken: eine Operation, obwohl ich schwanger bin? Doch die legten sich dank der Beratung von Herrn Dr. González sehr schnell und ich war einfach nur noch dankbar, dass ich bereits einen Tag später wieder nach Hause durfte und keine Einschränkungen wie Bettruhe oder ähnliches hatte.“

Unbemerkte Infektion löst Frühgeburt aus

Frau Österwitz wird im Nachgang durch ihre niedergelassene Gynäkologin engmaschig kontrolliert, so dass eine Infektion in der 20. Schwangerschaftswoche frühzeitig festgestellt werden kann. Bei einer anschließenden Untersuchung im Klinikum steht fest: Die Chancen, das Kind weiter austragen zu können, stehen schlecht. „Es hieß zu einem Prozent, dass es gut geht“, erinnert sich Frau Österwitz. In der Nacht platzt die Fruchtblase und Frau Österwitz muss ihr Sternenkind viel zu früh still auf die Welt bringen. „Es war sehr emotional. Ein kleines süßes Mädchen. Wir hatten uns natürlich sehr gefreut, dass ich endlich mal so lange schwanger war. Umso schmerzhafter war dann der erneute Verlust.“

In dieser unvorstellbaren Situation der Trauer um ihre Tochter wird Frau Österwitz von dem Team der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe sehr unterstützt. Sei es durch Trauergespräche mit der Seelsorge oder mit den Oberärzt*innen, die ebenfalls nach Antworten suchen, weshalb es zu einer Frühgeburt trotz Muttermundverschluss gekommen ist.

Mit neuem Mut in die sechste Schwangerschaft

„Und dann sind wir direkt in Urlaub gefahren und haben gesagt: jetzt probieren wir es nochmal“, so Frau Österwitz über die Zeit nach der Beerdigung ihrer Tochter. Bereits einen Monat später hält sie den sechsten positiven Schwangerschaftstest in den Händen.

Und sie ist sich sicher: jetzt wird es endlich mit dem langersehnten Wunschkind klappen. Bereits in der 11. Schwangerschaftswoche führt das Team der beiden Oberärzt*innen Herrn González und Frau Marquardt einen sogenannten primären Muttermundverschluss prophylaktischen durch. Herr González ist von der Notwendigkeit der erneuten Operation überzeugt: „Ich bin mir sicher, hätten wir damals nicht direkt gehandelt, würde der kleine Max heute nicht hier sein.“

Auch Frau Österwitz hatte vollstes Vertrauen in die Meinung und Expertise von Herrn González:  „Was war in der 6. Schwangerschaft anders? Ich habe mein Selbstvertrauen zurückerlangt. Mithilfe von Herrn Dr. González. Ich konnte ihn immer kontaktieren und er hatte immer ein offenes Ohr für mich. Ich habe spaßeshalber gesagt, dass ich kein Google brauche – ich habe Herrn González. Und auch das war ein riesen Unterschied zu den vergangenen Schwangerschaften: ich habe keine Symptome gegoogelt.“

Portraitfoto Dr. med. Alfredo González Guayasamin

„Wir bleiben auch nach der Operation bis zur Geburt mit unseren Patientinnen in Kontakt. Die behandelten Frauen sind für uns keine Nummer. Hinter ihnen verbergen sich Schicksale, die uns als Mediziner sehr berühren.“

Oberarzt Dr. med. Alfredo González Guayasamin, Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe

Dank der erfolgreichen Operation kann Frau Österwitz zu Hause ihre Schwangerschaft so gut es geht genießen. „Dadurch, dass ich es bereits einmal bis in die 20. Schwangerschaftswoche geschafft habe, dachte ich mir: jetzt klappt es auf jeden Fall.“ Doch nicht immer ist die 39-jährige so optimistisch eingestellt. Sobald sie die Angst überkommt, nimmt sie Kontakt mit dem Klinikum auf.

Blasensprung in der 31. Schwangerschaftswoche

Am 25. Juni 2023 ist es dann nachts auf einmal soweit:
Blasensprung in der 31. Schwangerschaftswoche. Im Klinikum angekommen, wird Frau Österwitz sofort ein Medikament für die Lungenreife der Frühchen gespritzt. Dieses ist notwendig, um die Entwicklung des Babys – vor allem der Lungenfunktion – anzukurbeln und so das Risiko für spätere Komplikationen zu verringern. Dank der Gabe von Wehenhemmern können die Ärzt*innen die Geburt noch vier weitere wertvolle Tage hinauszögern. Und dann geht alles sehr schnell: nachdem der Muttermundverschluss geöffnet wurde, dauert es nur knapp 90 Minuten, bis Max am 30. Juni um 11:24 Uhr zur Welt kommt. Er ist 1945 Gramm leicht und 43 Zentimeter groß. Die Freude der Eltern ist unendlich groß.

Herr González, der die Geburt begleitet hat, erinnert sich: „Wir haben uns sehr gefreut, dass Frau Österwitz spontan entbinden konnte, obwohl sie erst in der 32. Schwangerschaftswoche war. Die Werte des Babys waren so gut und es lag auch richtig, dass wir keine Indikation für einen Kaiserschnitt hatten. Ein Kaiserschnitt wäre natürlich nicht schlimm gewesen, denn nach dem, was wir alles gemeinsam mit Frau Österwitz erlebt haben, war die Hauptsache, dass das Baby gesund zur Welt kommt. Doch eine spontane Geburt ist natürlich schöner. Die Geburt verlief super und war auch für uns als Team ein schönes Erlebnis. Natürlich betreuen wir hier viele besondere Situationen, doch diese hier von Frau Österwitz war für unser gesamtes Team etwas ganz besonderes, da wir Frau Österwitz einfach schon über so viele Jahre begleiten.“

Fünf Wochen auf der Neonatologie

Nach sechs kräftezehrenden Jahren und fünf Fehlgeburten, hält Frau Österwitz endlich ihr Wunschkind Max in den Armen. Zu Beginn zwar noch mit Kabeln und an Monitore angeschlossen. Seine ersten fünf Lebenswochen verbringt Max auf der Neonatolgie des Klinikum Westbrandenburg in Potsdam. Hier wird er 24 Stunden an sieben Tage in der Woche von Expert*innen betreut und überwacht.

„Das Team der Neonatologie hat sich so liebevoll um unseren Schatz gekümmert. Schwester Kerstin hat mir gleich am ersten Tag die Angst genommen und mir den kleinen Max auf die Brust zum Kuscheln gelegt“, sagt Frau Österwitz. Sie mietet sich ein Appartement auf dem Klinikcampus und kann somit die meiste Zeit des Tages bei ihrem Baby sein und ihm dabei zu sehen, wie er von Tag zu Tag mehr an Gewicht zu nimmt und kräftiger wird. Der Abschied am Abend fällt Frau Österwitz leicht, denn „ich wusste, dass er hier in

sicheren Händen ist.“ Noch vor dem errechneten Geburtstermin wird Max entlassen: „Wir haben hier so viel gelernt und sind wirklich unter Freuden-Tränen gegangen. Für eine kurze Zeit ist die Neonatologie zu unserem zu Hause geworden.“

Nun steht Max kurz vor seinem ersten Geburtstag. Er krabbelt fleißig und ist sehr an seiner Umgebung interessiert. Seine Mama hält noch immer Kontakt zu dem Team rund um Herrn González und Frau Marquardt, denn die über die Jahre gewachsene Verbindung bleibt auch weiterhin bestehen. 

Abschließend sagt Frau Österwitz: „Das Team im Klinikum hat mir in den schlimmsten Stunden beigestanden und sich in den schönsten Stunden mit mir gefreut. Man kann das mit Worten gar nicht beschreiben; ich bin einfach dankbar. Jedem Einzelnen in der Klinik. Für mich war der Weg ins Bergmann der richtige und ich kann dieses Krankenhaus nur jedem empfehlen. Meine Geschichte beginnt traurig und nach vielen Rückschlägen endet sie dann doch in einem so unfassbaren Glück.“

 

 

Wir danken Frau Österwitz für den Einblick in ihren steinigen Weg zum Wunschkind und wünschen ihr sowie Max alles erdenklich Gute für die weitere Zukunft.

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Die Geburt eines Kindes ist ein besonderes Ereignis – für die werdenden Eltern als auch für unsere Hebammen und Ärzt*innen. Unser Perinatalzentrum Level 1 am Standort Potsdam zeichnet sich durch die umfassende medizinische Versorgung von Mutter und Kind aus. Beginnend mit der Betreuung der werdenden Mütter während der Schwangerschaft, einer erstklassigen Pränataldiagnostik bis hin zur Geburtsklinik, die Hand-in-Hand mit der Neonatologie arbeitet, sofern dies notwendig sein sollte.