Potsdam, 18. Mai 2025

Menschlicher Verdauungstrakt, nachgebildet mit Knetmasse, umschlossen von zwei Händen

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Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED), zu denen insbesondere Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gehören, sind weltweit auf dem Vormarsch und betreffen sowohl Kinder als auch Erwachsene. Diese schweren, bislang unheilbaren Erkrankungen stellen für die Betroffenen sowie das Gesundheitssystem eine erhebliche Herausforderung dar. Eine frühzeitige Diagnose und eine individuell zugeschnittene Behandlung sind entscheidend, um das Leben der Patient*innen zu verbessern und langfristige Komplikationen zu vermeiden. Das Klinikum EvB und das Klinikum Westbrandenburg möchten den Aktionstag zum Anlass nehmen, um auf die Erkrankung und Behandlungsmöglichkeiten in Potsdam aufmerksam zu machen.

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) sind entzündliche Systemstörungen des Immunsystems, die vorwiegend den Verdauungstrakt betreffen, aber grundsätzlich alle Organsysteme erfassen und dort mit Entzündungsprozessen und deren Folgen einhergehen können. In Deutschland sind etwa 600.000 Menschen von Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa betroffen, den häufigsten Formen von CED. Die Symptome können am Anfang unspezifisch sein, umfassen oft Bauchschmerzen, Durchfall, Gewichtsverlust, Müdigkeit und Erschöpfung.

„Chronisch entzündliche Darmerkrankungen werden durch unkontrollierte Aktivierung von Immunzellen im Darm hervorgerufen“, erläutert Prof. Dr. med. Daniel C. Baumgart, Gastroenterologe und Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Rheumatologie am Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam. „Heilbar sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen bislang nicht. Wir können die Symptome jedoch lindern und den Entzündungsprozess durch gezielte Therapien in den meisten Fällen sehr gut unter Kontrolle halten. Da die Krankheit in Schüben auftritt und oft unvorhersehbar aufflammt, muss die Behandlung kontinuierlich überwacht und angepasst werden, sodass Schübe gar nicht erst auftreten. Das stetig wachsende Spektrum und die daraus resultierende Komplexität neuer Therapien erfordert sehr viel Erfahrung, ermöglicht aber auf die individuelle Patientensituation immer besser einzugehen.“

CED bei Kindern und Jugendlichen

Immer mehr Kinder und Jugendliche erkranken an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. „Die Symptome sind bei jungen Patienten oft schwer zu erkennen, da sie häufig mit anderen Magen-Darm-Erkrankungen verwechselt werden. Zudem kann sich die Krankheit bei Kindern sehr ausgedehnt und mit schweren Komplikationen manifestieren“, erklärt Prof. Dr. med. Jan Däbritz, Kinder- und Jugend-Gastroenterologe und Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Westbrandenburg in Potsdam. „Kinder, die an CED erkranken, sehen sich nicht nur mit körperlichen Herausforderungen konfrontiert, sondern auch mit psychischen Belastungen, da ihre Lebensqualität stark eingeschränkt sein kann. Der Schulalltag, die soziale Integration und die persönliche Entwicklung können stark beeinflusst werden. Deshalb ist eine frühe Diagnostik sowie eine ganzheitliche Behandlung, die auch die psychosozialen Aspekte berücksichtigt, von entscheidender Bedeutung.“

Entzündungszentrum Potsdam mit Netzwerk der spezialfachärztlichen Versorgung (ASV)

Chronische entzündliche Darmerkrankungen können nicht nur den Verdauungstrakt, sondern den gesamten Organismus betreffen. Die Erstdiagnose dauert auch in Deutschland immer noch zu lang, mit teilweise ein bis zwei Jahren. Nur eine frühzeitige Überweisung in spezialisierte Zentren mit multidisziplinären Teams aus verschiedenen medizinischen Fachdisziplinen (z. B. Gastroenterologie, Hepatologie, Rheumatologie, Dermatologie, Augenheilkunde, Kolorektal- und Leberchirurgie) kann hier Abhilfe schaffen. Auch eine fachkundige pflegerische, ergo- und physiotherapeutische, sozialmedizinische und ernährungswissenschaftliche Mitbetreuung spielen eine große Rolle im Versorgungsprozess.

„Eine schnelle Erstdiagnose und die Versorgung von Erkrankten durch verschiedenste Spezialist*innen kann in einem multidisziplinären Entzündungszentrum sichergestellt werden.“ erläutert Dr. Karin Hochbaum, Medizinische Geschäftsführerin des Klinikum Ernst von Bergmann und Klinikum Westbrandenburg. „Dank der Expertise von Prof. Dr. Baumgart und Prof. Dr. Däbritz ist es uns gelungen, ein solches Zentrum für Patientinnen und Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen hier am Campus Potsdam aufzubauen.“

„In unserem Entzündungszentrum und einem Netzwerk der spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) steht ein starkes, breit aufgestelltes Team Betroffenen mit einem gemeinsamen Ziel zur Seite: die nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität und die Umsetzung individueller Therapieziele (Präzisionsmedizin, Precision Health)“, beschreibt Prof. Dr. med. Daniel C. Baumgart.

„Ideal ist es, wenn bereits im Kindes- und Jugendalter diagnostizierte Fälle im Rahmen von spezialisierten Transitionssprechstunden, wie wir sie hier in Potsdam haben, nahtlos in die Erwachsenenbetreuung überführt werden“, ergänzt Prof. Dr. med. Jan Däbritz.

Bedeutung der Forschung und Behandlungsmöglichkeiten

Fortschritte in der medizinischen Forschung bieten zunehmend neue Ansätze zur Behandlung von CED. In den letzten Jahren sind viele neue Medikamente und auch ganz neue Therapiekonzepte erprobt und auf den Markt gekommen, die die Entzündungsprozesse im Körper noch gezielter, nebenwirkungsärmer und in Kombination auch synergistisch unterdrücken und so haben das Potenzial haben, die Krankheit in den Griff zu bekommen und die Lebensqualität der Patient*innen erheblich zu verbessern.

Fortgeschrittene Therapien beinhalten sowohl monoklonale Antikörper (maßgeschneiderte Eiweißmoleküle), die meist ein oder mehrere Zytokine (Botenstoffe der Entzündung) blockieren, als auch sogenannte Small Molecules (in Tablettenform verfügbare Präparate) die ganze Entzündungskaskaden blockieren oder die Wanderung von Entzündungszellen beeinflussen. „Bei wem welche Therapie optimal wirkt, können wir bisher nur indirekt aus den Zulassungsstudien und großen Registern herausfinden“, sagt Prof. Dr. med. Daniel C. Baumgart. „Molekulare Biomarker werden hier in Zukunft helfen. Durch die zunehmende Verfügbarkeit von digitalen Gesundheitsdaten ist auch eine Entwicklung von digitalen Biomarkern möglich. Meine internationale wissenschaftliche Arbeitsgruppe arbeitet daran, Erkrankungsverläufe- und Behandlungsansprechen mit KI-unterstützten Prädiktionsmodellen für die Klinikroutine zu erschließen. Entscheidungsunterstützung kommt dann direkt über die elektronische Patientenakte in die Praxis und eine geeignete Auswahl kann dann schneller und gezielter getroffen werden – ein entscheidender Schritt in Richtung Precision Health.“

Die genaue Ursache der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen konnte in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich genauer aufgeklärt werden. Expert*innen vermuten eine Kombination aus genetischen Faktoren und Umweltfaktoren, die unserem westlichen Lebensstil entspringen, und schließlich zu einer unkontrollierten Immunantwort auf die eigene Darmflora führen.

Prof. Dr. med. Daniel C. Baumgart: „Unser Team in Potsdam ist in nationale und internationale Forschungsprojekte und Therapiestudien aktiv involviert. Wir können unseren Patientinnen und Patienten daher auch noch nicht am Markt verfügbare Therapien im Rahmen von klinischen Studien anbieten.“