Potsdam, 28. Juli 2025

Frau in rotem Oberteil und dunklem Blazer sitzt an einem Tisch mit Glas Wasser und spricht in einem Interview

Frau Dr. med. Karin Hochbaum im Gespräch.

Die Krankenhauslandschaft in Deutschland steht vor einem tiefgreifenden Wandel – mit der aktuellen Reform werden nicht nur Strukturen verändert, sondern auch Versorgungswege neu gedacht. Besonders im Fokus steht dabei die Notfallmedizin, die künftig sektorübergreifend und stärker vernetzt funktionieren soll. Doch was bedeutet das konkret für das Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam und die weiteren Kliniken im Land Brandenburg?

Im Gespräch mit Dr. med. Karin Hochbaum, Medizinische Geschäftsführung am KEvB, wirft sie einen präzisen Blick auf die geplanten Veränderungen und deren Auswirkungen auf die Notfallversorgung. Sie gibt Einblicke in die Einführung eines integrierten Notfallzentrums, beschreibt die strategischen Herausforderungen für kleinere Krankenhäuser im neuen Notfallstufensystem und erklärt, wie das KEvB mit digitalen Tools, klaren Risikomanagementstrukturen und regionaler Netzwerkarbeit auf die Reform reagiert.

Ein Interview über Chancen, Risiken – und die Frage, wie moderne Notfallmedizin in einem sich wandelnden Gesundheitssystem zukunftsfähig bleibt.

Wie beurteilen Sie die Auswirkungen der neuen Krankenhausreform auf die Notfallmedizin im Klinikum EvB, insbesondere hinsichtlich der sektoralen Vernetzung in den Notaufnahmen?

Dr. Hochbaum: Die Umsetzung der Krankenhausreform in Bezug auf die Neustrukturierung der Notfallversorgung steht bislang noch aus. Wesentliche Neuerungen sollen die Stärkung des kassenärztlichen Notfalldienstes, vor allem durch Telemedizin sowie die bessere Vernetzung mit Rettungsdienst- und KV-Notfallnummern sein.
Im KEvB setzen wir zur zweiten Jahreshälfte ein neues Notfallzentrum in unserer Notaufnahme um, welches eine gemeinsame Erstregistrierung von Notfallpatienten durch KV-Mitarbeitende ermöglicht. Die dort entstehende „Erstsichtung“ der Patienten am gemeinsamen Tresen entscheidet, ob eine ambulante Behandlung durch die KV oder eine Weiterleitung in die Zentrale Notaufnahme zur stationären Behandlung erfolgt.

Wir erwarten durch diese Maßnahmen eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen ambulanter und stationärer Notfallversorgung sowie eine zielgenaue Steuerung der Patientenströme. Unser Klinikum ist insgesamt als höchste Stufe der Notfallversorgung im Rahmen der Notfallstufe III sehr gut aufgestellt und mit spezialisierten Zentren wie dem überregionalen Traumazentrum und der überregionalen Stroke Unit gut aufgestellt.

Wie beeinflusst die Einteilung in Notfallstufen (z. B. gemäß G-BA-Beschluss) die strategische und finanzielle Ausrichtung Ihres Hauses – und welche Herausforderungen sehen Sie dabei für kleinere Standorte?

Dr. Hochbaum: Als KRITIS-Krankenhaus mit Versorgungstufe 3 für Kinder und Erwachsene sowie der psychiatrischen Notfallversorgung behandeln wir jährlich über 60.000 Notfälle und passen unsere Ressourcen sowohl konservativ als auch operativ flexibel an die verschiedenen Versorgungskontexte an. Die Krankenhausreform mit den Vorgaben zum Notfallversorgungsstufensystem sowie die Neuregelungen für Fachkliniken führen dazu, dass einige Krankenhäuser möglicherweise künftig keine Notfallversorgung mehr anbieten werden oder bestimmte Leistungen, etwa interventionelle Kardiologie, nicht mehr erbringen können. Im Rahmen der Reform sind insbesondere die Sicherstellungshäuser mit umfassenden Ausnahmeregelungen ausgestattet, so dass dort die Notfallversorgung weiterhin ein Schwerpunkt ist. Für andere kleinere Standorte besteht jedoch die Herausforderung, sich in diesem System zu behaupten und ihre finanzielle sowie strategische Position zu sichern.

Welche Maßnahmen sind notwendig, um die Kooperation mit externen Rettungsdiensten und weiteren Versorgungseinrichtungen zu stärken?

Dr. Hochbaum: Der Aufbau von Notfallnetzwerken mit anderen Akteuren im Notfalldienst ist derzeit noch ausbaufähig, insbesondere im Hinblick auf die Krisenresilienz. Hier müssen die Rollen von KRITIS-Krankenhäusern und weiteren Versorgungseinrichtungen klar definiert sowie Patientenbehandlungsketten verbindlich festgelegt werden, um effiziente Patientenströme sicherzustellen. Das Land Brandenburg und die Stadt Potsdam sind hier bereits aktiv und es gibt verschiedene Arbeitsgruppen, die sich mit der Thematik beschäftigen. Als Klinikum stellen wir für die Versorgungsregion Potsdam den leitenden Notarzt und ärztliches Personal für die Notfalleinsatzfahrzeuge. Zudem sehen wir insbesondere die regelmäßige Durchführung gemeinsamer Übungen zu Großschadensereignissen und Massenanfällen von Verletzten als entscheidend an. Solche praxisnahen Trainings verbessern die Zusammenarbeit, Abstimmung und Einsatzfähigkeit aller beteiligten Partner.

Welche konkreten Anpassungen im Risikomanagement sind notwendig, um die Anforderungen der Krankenhausreform, insbesondere in Bezug auf die Notfallversorgung, zu erfüllen?

Dr. Hochbaum: Im Rahmen des Risikomanagements ist eine klare Analyse der eigenen Struktur und Kapazität essenziell, um Stärken und Grenzen präzise zu kennen. Zudem müssen Alarmierungs- und Kommunikationsketten eindeutig definiert, dokumentiert und regelmäßig überprüft werden, um im Notfall reibungslose Abläufe und schnelle Reaktionszeiten zu gewährleisten.

Wie gewährleisten Sie eine effektive Risikoanalyse und Fehlerprävention angesichts der gesetzlichen Vorgaben?

Dr. Hochbaum: Im Klinikum führen wir monatliche, interdisziplinäre Arbeitsgruppen zur Krankenhaus- und Einsatzplanung durch, in denen kontinuierlich Risikoanalysen erstellt und Maßnahmen zur Fehlerprävention diskutiert werden. Ergänzend erfolgt eine fortlaufende Evaluierung und Optimierung des gesamten Notfallversorgungssystems. Technisch stützen wir uns dabei auf moderne digitale Alarmierungsverfahren sowie satellitengestützte Funksysteme, um eine zuverlässige und schnelle Kommunikation im Krisenfall sicherzustellen.

Welche digitalen Tools oder Systeme setzen Sie in der Notaufnahme ein, um Prozesse zu optimieren und Risiken frühzeitig zu erkennen? Planen Sie Investitionen in diesem Bereich?

Dr. Hochbaum: In unserer Notaufnahme nutzen wir ein Hospital Control Center mit Live-Datenerfassung, das die aktuelle Patientenzahl und den Schweregrad der Patienten in Echtzeit darstellt. Zusätzlich sind Warnscores, beispielsweise zur Einschätzung von Pandemierisiken, integriert. Aktuell fehlen im System noch präklinische Steuerungssysteme für Patienten, die beispielsweise eine Selbsteinschätzung oder KI gestützte Einschätzung in Bezug auf die Notwendigkeit einer Behandlung in der Notaufnahme ermöglichen. Hier liegen noch Handlungsfelder, die in anderen europäischen Ländern bereits eine Umsetzung erfahren haben.