Kurz vor knapp: „Meine Covid-Erkrankung wurde für mich zum Glücksfall“

März 2021 – Deutschland hat den Höhepunkt der Omikron-Welle erreicht. Für Kirstin aus Schwielowsee soll ihre Covid-Erkrankung zum Glücksfall werden. Denn was Kirstin bis dahin nicht weiß: in ihrer Lunge haben sich Lungenrundherde gebildet – eine Vorstufe von Lungenkrebs. Es beginnen eine Reihe an Untersuchungen mit ihren Höhen und Tiefen.  

Glücksfall Corona

März 2021 – Deutschland hat den Höhepunkt der Omikron-Welle erreicht. Dem Robert Koch Institut werden täglich über 60.000 Neuerkrankungen gemeldet. Eine davon ist Kirstin Strübing aus Schwielowsee. Die damals 51-jährige ist so stark von der Variante B 1.1.529 gesundheitlich betroffen, dass ein stationärer Aufenthalt im Klinikum Ernst von Bergmann notwendig ist, um wieder auf die Beine zu kommen. Eine Woche lang bleibt Kirstin auf der Covid-Station, ehe sie genesen entlassen wird. Man legt ihr bei der Entlassung ans Herz, sich zeitnah bei einem Pneumologen vorzustellen, der ihre Lunge sowie die Lungenfunktion genau untersuchen soll.

Der erste Verdacht

Kirstin Strübing hat auch Monate nach ihrer Covid-Erkrankung keinerlei Beschwerden und Einschränkungen; täglich steigt sie 100 Treppenstufen hinauf. Sie befolgt dennoch den Rat des Klinikums und lässt sich im September 2021 von einem Pneumologen untersuchen und tatsächlich sind die CT-Aufnahmen ihrer Lunge auffällig. „Auf dem CT waren Flecken in meiner Lunge zu erkennen. Milchige Wolken waren dort zu sehen – so wie man es in den Medien als eine Corona-Spätfolge lesen konnte“, erklärt Kirstin. Man entschließt sich zu warten und Kirstins Lunge in sechs Monaten erneut zu untersuchen, in der Hoffnung, dass sich die Lunge bis dahin komplett von Corona erholt hat.

Es folgen Untersuchungen

Doch der Befund bleibt unverändert: auch bei einer erneuten Kontrolle befinden sich auf Kirstins Lunge noch immer milchige Wolken – also unklare Lungenrundherde. Lungenrundherde kommen relativ häufig vor und verursachen in den meisten Fällen kaum Beschwerden. Eine Vielzahl von Lungenrundherden ist gutartig. Handelt es sich jedoch um bösartige Rundherde, so liegt oft ein Lungenkrebs oder eine Tochtergeschwulst von Tumoren aus anderen Körperregionen vor.

Mit dieser Diagnose beginnt für Kirstin eine Reihe an Untersuchungen und Tests, um der Ursache und dem Ursprung der Lungenrundherde auf den Grund zu gehen. Es steht der Verdacht im Raum, dass Kirstin einen Tumor in einem anderen Organ hat, der bereits metastasiert ist – also sich im Körper und vor allem in der Lunge ausgebreitet hat. Ein Riesenschock für die 51-jährige. Kirstin erinnert sich an das Gespräch mit Mahmoud Ismail, Departmentleiter der Thoraxchirurgie: „Meine erste Reaktion war: das kann es nicht sein. Ich fühle mich doch gut und mache täglich meinen Sport und laufe jeden Morgen meine 100 Treppenstufen.“

Es folgen eine Magen- und Darmspiegelung sowie CT-Aufnahmen von ihrem Oberkörper. Das Ergebnis ist eine Erleichterung für alle beteiligten Fachbereiche: es konnte kein Tumor in Kirstins Körper gefunden werden.

Auf der Suche nach Antworten

Nachdem der Verdacht eines Primärtumors ausgeschlossen werden konnte, galt es noch immer herauszufinden, ob die Lungenrundherde gut- oder bösartig sind. Denn „da war etwas in der Lunge, was dort nicht hingehört“, erinnert sich Mahmoud Ismail. Der Fall von Kirstin wird mehrfach in der interdisziplinären Tumorkonferenz des Klinikum EvB thematisiert. Da es sich um einen schwierigen Lungenbefund handelt und eine Punktion zur Gewebsentnahme nicht möglich ist, empfiehlt das Ärzteteam eine Operation.

„Und dann sagte Herr Ismail: wir sollten vielleicht mal gucken, was da in der Lunge drin ist. Und dann habe ich erstmal gesagt: Nein, ich gehe jetzt wieder nach Hause“, so schildert Kirstin ihre erste Reaktion auf die Empfehlung von Departmentleiter Ismail und seinem Team zur Operation. Auch wenn die Diagnose noch immer ein Schock für Kirstin ist, willigt sie einem Termin zur Operation Anfang September 2022 ein. Sie sagt: „aber schon beim Verlassen des Raumes wusste ich, dass ich noch nicht soweit bin“. Einige Tage später sagt Kirstin den geplanten OP-Termin wieder ab. „Mir war der Ernst der Lage bewusst, doch mein Zustand sagte mir: die haben sich geirrt. Ich wollte es nicht wahrhaben. Die Diagnose habe ich gar nicht bezweifelt, denn die Bilder lagen ja vor mir und man hat mir genau gezeigt: hier ist was und da ist was. Doch irgendwann habe ich für mich selbst gemerkt, dass ich gar nicht richtig zugehört habe.“, erinnert sich Kirstin. Rückwirkend betrachtet sagt sie selbst: „Meine Herangehensweise war unpassend, ich war überhaupt nicht offen dafür, was die Ärzte mir erklärt haben.“

Kirstin sucht Rat bei ihrer langjährigen Hausärztin und vereinbart mit Herrn Ismail einen Termin für ein Kontroll-CT im November. Ihr ist bewusst, dass kein Weg an einer Operation vorbeiführen wird, sollte der erneute Befund unverändert bleiben. Die neuesten Aufnahmen im November zeigen deutlich, dass die Lungenrundherde nicht zurückgegangen sind und dringend gehandelt werden muss. Auch Kirstin wird klar, dass sie „es jetzt durchziehen muss“.

Die Operation

Mahmoud Ismail und sein Team bereiten direkt alles für den operativen Eingriff vor und planen eine Elektromagnetische Navigations-Bronchoskopie – kurz ENB. Die ENB ist ein Verfahren, mit der kleine peripher liegende Tumoren in der Lunge erreicht werden können. Zuvor gemachte CT-Aufnahmen von Kirstins Lunge werden zur digitalen Rekonstruktion der Lokalisation des kleinen Tumors benutzt. Daraus ergibt sich eine virtuelle Struktur und es entsteht ein 3D-Bronchialbaum – ähnlich einer Wegbeschreibung im Navigationssystem. Diese virtuelle Karte ermöglicht es, eine Sonde über die Spiegelung der Atemwege (Bronchoskopie) sehr präzise zum Ziel zu führen. Ist der Tumor erreicht, wird dieser mit blauer Farbe markiert und das Gewebe entnommen.

„Ich hatte viel Angst vor der Operation. Und ich durfte die auch zeigen. Von der Aufnahme auf der Station bis hin zum OP und wieder raus waren die Schwestern alle lieb und haben mir enorm den Druck genommen“, sagt Kirstin.

Nach der Operation verlässt Kirstin den OP-Saal tumorfrei. Während sie im Aufwachraum langsam wieder zu sich kommt, befinden sich die entnommenen Stücke ihrer Lunge bereits in der Pathologie.

Dort wird das Operationspräparat aufbereitet und untersucht. Bereits wenige Tage nach der Operation gibt der pathologische Befund Entwarnung: bei den Lungenrundherden handelte es sich um eine Vorstufe von Krebs. Das Ergebnis bedeutet, dass Kirstin keine weitere Behandlung in Form einer Chemo- oder Strahlentherapie benötigt. Die Erleichterung ist groß und überdeckt die Schmerzen an der liegenden Drainage. Kirstin ist direkt nach dem chirurgischen Eingriff mobil und kann sich frei auf der Station bewegen, so dass sie bereits zwei Tage später nach Hause kann.

Nachsorge ist die beste Vorsorge

Mittlerweile liegt der Eingriff knapp zwei Monate zurück, die Narbe ist verheilt und noch immer hat Kirstin in ihrem Alltag keinerlei Einschränkungen – auch nicht beim täglichen Treppensteigen. Die Tests nach der OP haben ebenfalls bestätigt, dass sich die Lungenfunktion von Kirstin durch den Eingriff nicht verschlechtert hat. „Doch jetzt müssen wir wach bleiben und die Lunge regelmäßig anhand von CT-Aufnahmen kontrollieren“, erklärt Herr Ismail. Da Nachsorge bekanntlich die beste Vorsorge ist, wird Kirstin vorerst alle sechs Monate einen Termin zur Nachsorge und Kontrolle im KEvB wahrnehmen.

Für Herrn Ismail ist klar: „Der Fall von Frau Strübing war ein reiner Zufallsbefund. Denn diese Art der Tumoren bereiten den Betroffenen meist keine Schmerzen.“

Der Weg zur Operation war begleitet von vielen Höhen und Tiefen. Doch Kirstin ist extrem froh, dass sie den Schritt des operativen Eingriffs gewagt hat und sagt rückwirkend betrachtet: „Meine Covid-Erkrankung wurde für mich zum Glücksfall“.

Wir bedanken uns bei Kristin für den Einblick und wünschen ihr für den weiteren Lebensweg von Herzen alles Gute.