Henning Künne über seinen Weg zur Tiefen Hirnstimulation

Ein langer Weg zur Diagnose

Henning Künne aus Braunschweig war noch ein junger Mann, als sich sein Leben allmählich zu verändern begann. Die ersten Anzeichen der Krankheit waren zunächst unscheinbar, aber im Rückblick weiß er genau, dass sie ein langsames und stetiges Ausmaß annahmen. „Ich konnte plötzlich nicht mehr riechen“, erinnert er sich. „Und dann zog ich ein Bein nach.“ Im Urlaub fiel einer Ärztin sein verändertes Gangbild auf. Es war ein schleichender Prozess, der sich erst nach und nach bemerkbar machte. 

„Es hat lange gedauert, bis die Diagnose feststand“, erklärt Henning Künne. Es waren mehrere Jahre des Suchens und Zweifelns. In dieser Zeit war er immer wieder auf der Suche nach Erklärungen für seine Symptome und nahm sogar psychologische Unterstützung in Anspruch, da auch eine gewisse Depression diese Zeit der Unklarheit begleitete.

Die Diagnose erhielt er Anfang der 2000er Jahre, etwa drei Jahre nach dem Auftreten der ersten Symptome. „Morbus Parkinson“, sagte der Arzt. Eine SPECT-Untersuchung zeigte, dass wichtige Nervenzellen in seinem Gehirn beeinträchtigt waren, wie es für eine Parkinson-Erkrankung charakteristisch ist. „Das war ein Schock. Für alle. Ich war gerade mal in meinen Vierzigern. Und dann so eine Krankheit“, sagt Künne.

"Festgefroren"

Im Verlauf der Jahre wurde Herr Kühne zunehmend mit den Herausforderungen der Krankheit konfrontiert. Die Medikation half ihm zunächst, die Symptome in den Griff zu bekommen, aber irgendwann reichte dies nicht mehr aus.

„Ein einschneidendes Erlebnis war letztes Jahr zur Weihnachtszeit. Ich hatte einen wirklich schlechten Tag. Plötzlich lag ich auf dem Boden und war nicht mehr in der Lage, mich allein aufzurichten.“ Er fühlte sich wie festgefroren – ein weiteres typisches Symptom von Parkinson, das sogenannte „Freezing“. „Ich konnte einfach nicht mehr aufstehen. Auch meine Frau war völlig entsetzt – bis dahin hatte ich immer gut funktioniert und plötzlich ging nichts mehr. Das war der Moment, in dem ich wusste, wir müssen was tun“, erinnert sich Henning Künne.

Der Weg zur tiefen Hirnstimulation

Künne begann, sich über neue Therapiemöglichkeiten bei Parkinson zu informieren. „Ich habe die Zeitung aufgeschlagen und online recherchiert, wer etwas in diesem Bereich tut. Dabei stieß ich auf einen Artikel, in dem es um eine neuartige Pumpentherapie im Zusammenhang mit Parkinson ging, welche am Klinikum Ernst von Bergmann bereits angeboten wurde. Deshalb bin ich hier in Potsdam gelandet. Ich wollte so eine Pumpe“, erklärt er.

„Die so genannte Parkinson-Pumpe hilft Patienten im mittleren oder späten Stadium der Krankheit, die Symptome der Krankheit viel besser unter Kontrolle zu bekommen und so die Lebensqualität stark zu steigern. Während die Gabe von Tabletten den Wirkspiegel eines Medikaments mit einem Mal nach oben schießen und nach kurzer Zeit wieder rasant sinken lässt, führt die Pumpe das Medikament dem Körper konstant zu. Ein Zick-zack-Kurs der Symptomstärke wird auf diese Weise verhindert“, erklärt Prof. Dr. Martin Südmeyer, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Potsdamer Klinikum Ernst von Bergmann.  

Das Zentrum für Bewegungsstörungen und Neuromodulation der Klinik für Neurologie bietet den Patienten ein breites Spektrum an innovativen Therapieverfahren. Allen Patient*innen steht ein interdisziplinäres Behandlungsteam aus Ärzt*innen der Neurologie und funktionellen Neurochirurgie, spezialisierten Pflegenden (Parkinson-Nurse), Neuropsycholog*innen, Therapeut*innen der Logopädie sowie Ergo-/Physiotherapie, Ernährungsberater*innen und Sozialdienstmitarbeiter*innen zur Verfügung.

In diesem Setting wurden dann auch die Therapieoption für Henning Künne abgewägt und genauestens überprüft: die tiefe Hirnstimulation (THS), eine Operation, in der ein sogenannter Hirnschrittmacher eingesetzt wird, der das Gehirn direkt stimuliert, um die Parkinson-Symptome zu lindern. Trotz anfänglicher Unsicherheit vor den Risiken der Operation, entschloss er sich dazu, die THS in Erwägung zu ziehen, wohlwissend, dass es sich dabei um einen komplexen Eingriff handelt.

Über die tiefe Hirnstimulation

Die tiefe Hirnstimulation ist eine operative Technik, bei der dünne Elektroden (ca. 1,2 Millimeter) zielgenau in bestimmte Bereiche des Gehirns implantiert werden, um dort präzise elektrische Impulse abzugeben. Diese Impulse helfen, die Aktivität von den Hirnregionen, die durch seine Parkinson-Erkrankung fehlreguliert sind, zu beeinflussen und somit die Symptome zu lindern. Die Tiefe Hirnstimulation ist mittlerweile eines der am besten untersuchten Therapieverfahren bei Bewegungsstörungen und wird mittlerweile seit mehr als zwei Jahrzehnten äußerst erfolgreich bei der Parkinson-Krankheit angewendet.

„Für Henning Künne sahen wir schnell die Indikation für eine THS und während seines ersten 5-tägigen stationären Aufenthaltes konnten wir abklären, dass er für den Eingriff auch geeignet war. Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht jeder Patient oder jede Patientin für diese Therapie in Frage kommt. In unserem Zentrum für Bewegungsstörungen und Neuromodulation wird die Eignung daher neben einer umfassenden Anamnese auch durch körperlich-neurologische Untersuchungen, Labortests, Medikamentenanpassungen, eine Kopf-Bildgebung (Kernspintomographie) sowie weiterführende Diagnostik (z.B. neuropsychologische Testungen) festgestellt.“ erläutert Prof. Dr. Martin Südmeyer, Chefarzt der Klinik für Neurologie mit integriertem Zentrum für Bewegungsstörungen und Neuromodulation.

Herr Künne beschreibt den Moment der endgültigen Entscheidung als eine Mischung aus Angst und Erleichterung: „Ich habe endlich eine Entscheidung getroffen, und das war gut so.“ Auch wenn Ängste noch immer eine Rolle spielten, fand er durch seine Frau, seine Familie, die Expertise und das Engagement des Potsdamer Behandlungs-Teams und den Austausch mit anderen Betroffenen in einer Selbsthilfegruppe, die ihn in Braunschweig unterstützte, den Mut, sich der Operation zu unterziehen.

In der Selbsthilfegruppe hatte er von den positiven Erfahrungen anderer gehört, die die THS bereits hinter sich hatten. „Mit ausschlaggebend war ein eher informelles Gespräch mit dem Potsdamer Chefarzt Prof. Südmeyer, der mir sehr anschaulich erklärte, wie die Operation abläuft – nämlich, dass an meinem Gehirn nicht herumgeschnitten wird, sondern dass die Mikroelektroden durch das Gehirn an die bestmögliche Stelle eingebracht werden. Dabei gleiten diese wie durch Wackelpudding“, lacht Künne.

Die ersten Monate nach der OP

Die Operation fand schließlich im September 2024 durch den funktionellen Neurochirurg Prof. Dr. med. Jürgen Voges statt. „Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als ich nach der Operation zu mir kam“, erzählt Henning Künne. „Es war eine Erleichterung, sofort meine Frau und meine Tochter zu sehen, zu erkennen, mit ihnen zu sprechen und zu wissen, alles ist gut gegangen.“

Bereits kurz nach dem Einschalten des Neurostimulators bemerkte er die ersten Fortschritte. „Es war tatsächlich, als hätte sich ein Schalter umgelegt. Ich konnte wieder Dinge tun, die für mich lange nicht mehr möglich waren, wie zum Beispiel ganz normal meine Hose anziehen. Das war ein kleiner Moment des Triumphs“, berichtet er stolz. Später, zu Hause geht er aufs Ganze: „Ich habe mich einfach mal auf mein Fahrrad gesetzt und bin 30 Kilometer gefahren. Völlig verrückt, aber ich habe es gemacht.“

Im November 2024 ist Henning Künne noch einmal zur Nachsorge im Potsdamer Klinikum. „In den Monaten nach der THS-Operation sind wir als medizinisches Team im engen Austausch mit unseren Patientinnen und Patienten, denn ein stimuliertes Hirn braucht eine gute Nachsorge. Im Rahmen der ambulanten Betreuung wird der Schrittmacher ebenso wie das Medikamentenschema immer weiter individuell angepasst. Denn neben Indikationserstellung, Eignungsprüfung und der eigentlichen OP gehört auch die individuelle, auf jeden Patienten genau eingestellte Anpassung des THS-Systems zur Behandlung in unserem Zentrum für Bewegungsstörungen und Neuromodulation“ sagt Dr. Ali Amouzandeh, Oberarzt im Zentrum für Bewegungsstörungen und Neuromodulation.

Gut zwei Monate nach der Operation ist Herr Künne sehr zufrieden mit den Ergebnissen der tiefen Hirnstimulation. Er ist voller Zuversicht und möchte anderen Parkinson-Patienten Mut machen:

„Es gibt immer eine Hoffnung, auch wenn es anfangs nicht so aussieht. Parkinson ist ein Problem, aber kein Grund sich abzuschreiben. Lasst euch nicht von Ängsten und Zweifeln leiten. Es gibt Behandlungsmöglichkeiten, die eure Lebensqualität verbessern können. Ich hätte nie gedacht, dass ich wieder so im Leben stehen werde. Für mich hat sich die THS gelohnt“, sagt der heute 60-Jährige zufrieden. 

„Etwas Finetuning zur Verbesserung des Geh- und Stehvermögens wird das Team auch noch hinbekommen, da bin ich mehr als zuversichtlich. Denn bisher haben die Frauen und Männer in Potsdam immer geliefert!"