Es ist ein Donnerstag im Oktober 2022, an dem sich die damals 15-jährige Anna am Nachmittag auf den Weg zu ihrem Reittraining macht. Seit fünf Wochen hat sie ihren Moped-Führerschein und wird von Tag zu Tag sicherer im Straßenverkehr. Anna fährt die Strecke, die durch Werder zum Reiterhof führt, mit einer Simson Enduro in ihrer Wunschfarbe Rot. Doch sie wird nicht wie geplant ankommen.

„Es gab einen großen Knall“

Sie befindet sich auf einer geraden Strecke, als es auf einmal einen großen Knall gibt – danach ist für Anna alles schwarz. Was sie durch Erzählungen und von Fotos weiß ist, dass sie von einem Auto angefahren wurde, welches aus dem Gegenverkehr kommend, nach links zu einer Tankstelle abgebogen ist. Das Auto trifft Anna an ihrer linken Körperseite. Durch die Wucht des Aufpralls  wird sie auf ein anderes Auto geschleudert und kommt schließlich auf dem Asphalt zum Liegen. Ersthelfer eilen zu ihr. Trotz ihrer schweren Verletzungen ist sie ansprechbar. „Eine Dame kam auf mich zu, hat den Rettungsdienst alarmiert und die ganze Zeit mit mir gesprochen. Ich habe ihr noch die Telefonnummer meiner Mama genannt, sodass meine Eltern direkt angerufen wurden und zur Unfallstelle kommen konnten“, erzählt Anna.

Polytrauma-Alarm in der Zentralen Notaufnahme

Um 17:18 Uhr wird in der Zentralen Notaufnahme des Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam der Polytrauma-Alarm ausgelöst. Über einen Knopf werden die Teams der Anästhesie, Allgemeinchirurgie, Neurochirurgie, Unfallchirurgie, Kinderchirurgie und Pädiatrie informiert und finden sich innerhalb weniger Minuten im Schockraum ein. Dr. med. Petra Degenhardt, Ärztliche Direktorin des Klinikum Westbrandenburg am Standort Potsdam und Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie, hat den Fall von Anna medizinisch begleitet. Sie erklärt: „Bei den Polytraumata gibt es für die Unfallchirurgen als auch für die Kinderchirurgen ganz klare Leitlinien. Wir halten uns an einen festgelegten Algorithmus, nach welchem bestimmte Untersuchungen abgearbeitet werden.“ So auch in dem Fall von Anna. Direkt nach dem Eintreffen in der Notaufnahme untersuchen die Teams parallel die schwerverletzte 15-jährige. Vitalparameter werden überprüft, Zugänge gelegt, Blutproben entnommen. Die Radiologie macht eine Schnell-Sonografie vom Bauch und die Kinderchirurg*innen als auch Unfallchirurg*innen legen gemeinsam fest, welche Körperteile geröntgt werden müssen. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen werden Röntgen-, MRT- und CT-Aufnahmen nur von den Körperstellen gemacht, die hochverdächtig auf eine Verletzung sind, um die Strahlenbelastung der jungen Patient*innen so gering wie möglich zu halten.

Schnell ist klar: Anna muss operiert werden

Nach der Erstversorgung und der abgeschlossenen Diagnostik steht fest, dass durch den Aufprall ein verschobener Oberschenkelhalsbruch am linken Bein vorliegt. Zudem muss ein offener Bruch des linken Schienbeins versorgt werden. Der Innenknöchel ist ebenfalls gebrochen. Hinzu kommen Verbrennungen der Haut und Schürfwunden. Die Liste der Verletzungen ist lang. Anna bekommt von all dem nichts mit. Bereits an der Unfallstelle wurde sie kurzzeitig bewusstlos und der Schwere ihrer Verletzungen entsprechend mit Schmerzmitteln versorgt. Noch im Schockraum
der Notaufnahme wird sie für die bevorstehende Not-Operation narkotisiert.

Not-OP und danach Intensivstation

Insgesamt 178 Minuten lang wird es dauern, bis die Unfallchirurg*innen und Kinderchirurg*innen die komplexen Brüche operativ versorgt haben. Gegen 22:00 Uhr wacht Anna auf der Kinder-Intensivstation auf. Dort setzen ihre ersten Erinnerungen nach dem schlimmen Unfall wieder ein: „Ich bin wach geworden und mir hat der gesamte Körper weh getan“. Ihre Eltern sind bei ihr und erklären, was passiert ist. „Meine Mama meinte zu mir: Anna es ist alles gut, du hattest einen schweren Unfall und bist jetzt im Krankenhaus“, erinnert sie sich. Elf Tage lang wird Anna auf der Kinder-Intensivstation betreut, bekommt starke Schmerzmittel und Antibiotika.

Portraitfoto Dr. Petra Degenhardt

„Für den Körper war es eine riesen Anstrengung den Unfall zu verarbeiten. Auch mental ist eine Aufarbeitung notwendig. Aus diesem Grund waren auch die Kinder- und Jugendpsychologen bei Anna am Bett, um eine posttraumatische Belastungsstörung soweit es geht abzufedern. Wichtig war vor allem die wunderbare Interaktion zwischen Anna und ihren Eltern, die sie während des Heilungsprozesses unterstützt haben.“

Dr. med. Petra Degenhardt, Ärztliche Direktorin und Chefärztin, Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie

Anna bestätigt: „Meine Eltern waren jeden Tag bei mir. Zu Beginn waren sie mich gemeinsam auf der Intensivstation besuchen und später haben sie sich abgewechselt, sodass ich ganz selten alleine in meinem Zimmer war.“

Klinikaufenthalt war mentale Herausforderung

Auf die normale Kinderstation wird sie verlegt, nachdem sie wieder mobiler wurde, das linke Bein etwas belasten und mit Gehstützen gehen kann. Allein für diesen Fortschritt waren bereits mehrere Stunden Physiotherapie notwendig. Anna berichtet: „Ich habe mich immer sehr auf Besuch von Frau Köllner, der Physiotherapeutin gefreut, einfach weil ich sie sehr mochte. Die Übungen waren zu Beginn alles andere als angenehm, da ich mein Knie nicht richtig beugen konnte. Doch mit der Zeit wurde es immer besser und beweglicher“. Bis zu ihrer Entlassung aus der Kinder- und Jugendchirurgie vergehen insgesamt vier Wochen. Eine Zeit, die für Anna nicht immer leicht war. „Trotz des schweren Umstands, hatte ich viele positive Momente und die Pflegekräfte waren alle super lieb zu mir. Doch es gab auch viele Tage, an denen es mir nicht so gut ging. Ich bin ein sehr aktiver Mensch und dann auf einmal körperlich so eingeschränkt zu sein, hat mich oft traurig gemacht. Mit der psychologischen Unterstützung habe ich den Unfall mittlerweile gut weggesteckt. Ich habe keine Albträume oder ähnliches. Es ist jetzt ein Teil von mir“, sagt die heute 17-jährige rückblickend.

Um wieder voll und ganz das linke Bein belasten zu können, besucht Anna im Anschluss an ihren Klinikaufenthalt für vier Wochen eine stationäre Reha. Sechs Monate nach dem Unfall sitzt Anna wieder auf dem Pferd und reitet; natürlich nach vorheriger Rücksprache mit Frau Dr. Degenhardt. „Knochenbrüche heilen bei Kindern und Jugendlichen einfach viel besser, als bei Erwachsenen. Ein Erwachsener hätte das mit Sicherheit nicht in so kurzer Zeit überstanden. Kinder und Jugendliche haben ganz selten Komorbiditäten, also chronische Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck. Dadurch ist der Heilungsprozess bei Kindern und Jugendlichen einfach mehrheitlich viel günstiger, als bei älteren Patienten“, erklärt die Chefärztin.

Knapp neun Monate später werden bereits die stabilisierenden Nägel und Schrauben aus dem linken Bein operativ entfernt. Und rund eineinhalb Jahre nach dem Unfall fährt Anna wieder Moped, mit einer „gesunden Portion Vorsicht“, wie sie selbst sagt. Einschränkungen im Alltag sind nicht geblieben, lediglich die Narben an ihrem Bein erinnern an diesen schlimmen Tag im Oktober 2022. „Viele verstecken ihre Narben, ich zeige meine gerne und bin stolz darauf“.

Liebe Anna, wir danken dir vielmals, dass wir deine Geschichte erzählen dürfen und sind von deiner positiven Art, mit dem Unfall umzugehen, mehr als beeindruckt. Wir wünschen dir für deine Zukunft alles Gute.