Speiseröhrenkrebs – Das Leben mit und nach dem Krebs
Als Henri Kuchinke im Frühjahr 2022 vermehrt Halsschmerzen und einen trockenen Husten feststellt, geht er zunächst von einer hartnäckigen Erkältung aus. Mit der Zeit fällt es ihm abends immer schwerer, einen kompletten Satz ohne ein Räuspern zu beenden. Er merkt selbst, dass die Symptome anhaltend sind, wartet doch noch bis zum Sommer, ehe er seinen Hausarzt in Eisenhüttenstadt aufsucht. Dieser überweist ihn direkt an eine Hals-Nasen-Ohren Praxis, die keine Auffälligkeiten bei dem damals 63-jährigen feststellt. Bei der anschließend geplanten Magenspiegelung im September 2022 erhält Herr Kuchinke im abschließenden Gespräch einen vorläufigen Befund: „Mir wurde direkt eine Stunde nach der Untersuchung mitgeteilt, dass es an der Speiseröhre einen auffälligen Befund gibt und es nach Krebs aussieht. Ich muss auf jeden Fall operiert werden.“ Zudem erfährt er, dass Operationen an der Speiseröhre komplexe Eingriffe sind, die nicht in allen Kliniken durchgeführt werden. Sein Arzt empfiehlt ihm die Vorstellung in Potsdam.
Tumorkonferenz empfiehlt erst Chemotherapie dann Operation
Es dauert einige Tage, bis die Ergebnisse aus dem Labor den Anfangsverdacht von der Magenspiegelung bestätigen: Speiseröhrenkrebs. An die Zeit der Ungewissheit erinnert sich Herr Kuchinke ungern zurück: „Das war eine blöde Zeit. Man wusste zwar schon, da ist was nicht gut, aber was genau es ist, war bis dahin noch unklar und vor allem wie es dann weiter geht“. Nach einem ersten telefonischen Kontakt, fand zeitnah die erste Vorstellung im Speiseröhrenkrebszentrum Potsdam statt – immer gemeinsam mit seiner Ehefrau. „Wir hatten uns von Anfang an gesagt, dass wir die wichtigen Termine immer gemeinsam wahrnehmen. Vier Ohren hören mehr als nur zwei.“ In der wöchentlichen Tumorkonferenz im Klinikum EvB Potsdam wird der medizinische Fall direkt besprochen und der Behandlungsplan erstellt.
Prof. Dr. med. Sven-Christian Schmidt, Leiter Speiseröhrenkrebszentrum Potsdam und sein Team, waren sich schnell einig, dass der Tumor operiert werden kann.
„Das war eine gute Nachricht, die wir unserem Patienten überbringen konnten. Eine Operation ist nur bei 20 % der an Speiseröhrenkrebs Erkrankten möglich. Dabei sind die Größe des Tumors, die Platzierung in der Speiseröhre sowie der gesundheitliche Zustand des Patienten entscheidende Faktoren.“
Prof. Dr. med. Sven-Christian Schmidt, Zentrumsleitung Speiseröhrenkrebszentrum
Die Ärzt*innen empfehlen allerdings zuerst eine Chemotherapie, um im Anschluss daran den Tumor operativ zu entfernen. Aufgrund der Entfernung zwischen Herrn Kuchinkes Wohnort Eisenhüttenstadt und Potsdam findet die ambulante Chemotherapie in Cottbus statt. Insgesamt vier Einheiten sind geplant. Schnell freundet er sich mit Taxifahrer Thorsten an, der ihn während seiner Chemotherapie immer von Eisenhüttenstadt nach Cottbus und wieder zurück fährt. Im Abstand von zwei Wochen geht es immer mittwochs und donnerstags in die Klinik zur Chemotherapie: „Der Mittwoch verlief eigentlich immer gut. Der Donnerstag war meist blöd, wegen der Übelkeit. Dagegen habe ich ein Medikament bekommen“. Die Chemotherapie schlägt gut an. Die Motivation ist groß und das Ziel ist die Operation in Potsdam. Mitte Dezember 2022 ist die vierte Einheit der Chemotherapie überstanden.
Vorbereitungen auf die OP in Potsdam
Es bleiben ihm acht Wochen Zeit, um sich von der Chemotherapie zu erholen und seinen Körper auf die Operation im Potsdamer Klinikum EvB vorzubereiten. Herr Kuchinke weiß noch heute, dass die Oberärztin der Ösophaguschirurgie Dr. Julia Möller zu ihm sagte: „Wir müssen Sie und Ihren Körper gut auf die Operation vorbereiten. Diese wird sehr anstrengend.“ Er nimmt sich die Worte von Frau Dr. Möller zu Herzen und geht daraufhin jeden Tag mindestens 45 Minuten spazieren und trainiert jeden Tag seine Lunge mit einem Lungentrainer. Zu Beginn fand er die Übungen etwas „albern“, merkte jedoch schnell, dass die Chemotherapie Spuren bei seiner Lunge und Ausdauer hinterlassen hat. Es packt ihn der Ehrgeiz und schnell kann er die farbigen Kugeln im Lungentrainer durch den Sog der Einatmung anheben und wenige Sekunden oben halten.
„Nach der mehrwöchigen Chemotherapie sehen wir Patienten, die in dieser Zeit körperlich abgebaut und auch an Gewicht verloren haben. Da wir zur Entfernung des Speisröhrenkarzinoms im Bauch- und Brustraum operieren, ist es wichtig, dass die Patienten in einem gesundheitlich guten Zustand sind. Nur so können wir eine schnelle Heilung der inneren Verletzungen erzielen. Wir geben allen unseren Patienten im Ösophaguszentrum einen Fit-für-die-OP-Plan mit Übungen und Tipps an die Hand. Das Lungentraining zum Beispiel beugt einer möglichen Lungenentzündung nach der Operation vor.“
Dr. med. Julia Möller, Oberärztin Speiseröhrenkrebszentrum Potsdam
Großes Ziel: die minimal-invasive Operation in Potsdam
Mitte Februar 2023 sollte sich zeigen, ob sich seine Vorbereitung auf die Operation auszahlen: „In einer sechsstündigen Operation haben wir acht Zentimeter der Speiseröhre entfernt. In der Folge wurde dann der Magen nach oben gezogen und neu an die Speiseröhre angelegt. Hierbei verliert der Magen an Volumen“, erklärt Herr Prof. Schmidt vereinfacht den Operationsverlauf. Bereits wenige Wochen nach der Operation wird von den kleinen Schnitten der minimal-invasiven Operation kaum etwas zu sehen sein.
Die Operation verläuft wie geplant. In der Visite erfährt Herr Kuchinke, dass er krebsfrei ist. „Es ist immer wieder schön und erleichternd, den Patienten nach der Operation eine gute Nachricht zu überbringen“, sagt der operierende Arzt, Prof. Dr med. Sven-Christian Schmidt. Er erinnert sich: „Der Krebs war durch die Chemotherapie schon fast weg und in der Operation konnten wir alles entfernen.“ Die Erleichterung ist groß. Schnell ist Herr Kuchinke wieder mobil. Er läuft über die Station, geht im Treppenhaus die Stufen auf und ab. Auch das Essen funktioniert direkt. Zuerst mit Joghurt und später mit Schonkost. Nach bereits zehn Tagen stationären Aufenthalts wird er aus dem KEvB entlassen. Es folgen drei weitere Einheiten der Chemotherapie – wieder in Cottbus. Diese sogenannte adjuvante Therapie, ist eine ergänzende Behandlungsmaßnahme in der Krebstherapie mit dem Ziel, das Rückfallrisiko zu senken. „Auch in dieser Zeit hat mich mein Taxifahrer Thorsten alle zwei Wochen nach Cottbus gefahren“, erinnert sich Herr Kuchinke.
(Ernährungs-)Umstellung auf ganzer Linie
Das vergangene Jahr seit der Diagnose Speiseröhrenkrebs war für Herrn Kuchinke prägend. Auch an seiner Ehefrau sind die Monate der Ungewissheit nicht spurlos vorbei gegangen. Sie beschließen, eine gemeinsame Reha zu machen. Nicht nur, um sich zu erholen, sondern auch um eine umfassende Ernährungsberatung zu erhalten. Denn seit der Operation hat sich das Essverhalten langfristig geändert. Dies ist nicht nur eine Umgewöhnung für ihn, sondern ebenfalls für seine Frau. „Durch den verkleinerten Magen muss die Ernährung dauerhaft umgestellt werden. In der Nachsorge empfehlen wir unseren Patienten täglich bis zu acht kleine Portionen zu sich zunehmen, anstelle von drei vollwertigen Mahlzeiten “, erklärt Frau Dr. Möller.
Herr Kuchinke ist mittlerweile Rentner und hat sich vollständig von seiner Krebserkrankung erholt. Die Zeiten, in denen das Thema Krebs ein täglicher Bestandteil der Unterhaltung zwischen ihm und seiner Frau war, sind vorbei. Er spricht offen über seine Erkrankung, animiert Freunde und Bekannte dazu die regelmäßigen Früherkennungsuntersuchungen wahrzunehmen und blickt voller Zuversicht in die Zukunft.
Wir bedanken uns bei Herrn Kuchinke vielmals für dieses tolle Gespräch und wünschen ihm weiterhin viel Gesundheit und alles Gute.