Das Atelier Living Museum

Unser Atelier Living Museum ist ein Gruppentherapieangebot in einer Kreativwerkstatt. Hier ist Zeit und Raum für kreatives Experimentieren und Entdecken von Fähigkeiten und Ressourcen.

Die Kreativität im Atelier ermöglicht vor allem einen Identitätswandel, der aus einem psychisch belasteten Menschen eine Künstleridentität schafft. Diese Künstleridentität bietet eine anerkannte Rolle innerhalb der Gesellschaft und die Möglichkeit, sich mit seinen individuellen Fähigkeiten in den gesellschaftlichen Dialog einzubringen und ihn aktiv mitzugestalten.

Auf dieser Seite kann das Atelier Living Museum auch virtuell besucht werden: https://einmalkunst.de/mittendrin/.

Arbeiten des Atelier

Gedanken der Ateliergruppe

„Wie würden wir Atlas heute für uns definieren? Er steht für unsere Person, da wir selber auch mit Problemen und Lasten durchs Leben gehen. Von Zeit zu Zeit haben wir das Gefühl, von unserem Kummer erdrückt zu werden. Oft stehen wir uns auch die Frage, ob wir für etwas bestraft werden. Wieviel hätte unser Atlas heute zu tragen? Wie können wir lernen, mit unserer Not umzugehen? Kann uns der Boden unter unseren Füßen wanken?“

Oft stellen wir uns die Frage, ob wir für etwas bestraft werden. Somit machte sich die Ateliergruppe ans Werk. Mit viel Geduld und Kreativität entstanden die ersten kleinen „Menschlein“. Die Himmelskugel wurde in zwei Halbkugeln geteilt, um zu verdeutlichen, dass Atlas – und auch wir – manchmal ins Wanken kommen können. Somit stellte sich die Frage, wie man Belastungen leichter machen kann.

 

Unterstützer

„Unsere kleinen Helfer haben von der Ateliergruppe ganz viele verschiedene Positionen bekommen, um dem Titan unter die Arme zu greifen. Also haben wir sie ‚Unterstützer‘ genannt. Sie stehen für all die Menschen, die uns zuhören, uns das Gefühl geben, nicht allein zu sein und uns mit Rat und Tat zur Seite stehen. Menschen, die uns Halt geben, damit wir nicht wanken und gestärkt werden, um unseren Kummer zu ertragen.“ Unser Atlas sollte nicht mehr nur der Bestrafte sein.

 

Leichtigkeit

Mit den Bäumen und den Noten wollte die Ateliergruppe darauf aufmerksam machen, dass wir auch durch unser Umfeld Erleichterung finden. Wie z.B. durch Musik, Tanz, Malen, Basteln,… Oder durch die Natur, Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Selbstfürsorge.

„Unser Atlas sollte nicht mehr nur der Bestrafte sein. Auch wenn er immer noch Lasten tragen muss. Er sollte nicht allein sein und er sollte ein Sinnbild sein für jeden von uns.“ Denn wenn uns der Kummer erdrückt, so hoffen wir darauf, Erleichterung zu bekommen von Unterstützern, die für uns da sind und uns durch schwere Zeiten helfen.

Und dass wir selbst Unterstützer sein können, denn… miteinander sind wir mittendrin im Leben!

Heute, am 7. Tag der Aktionswoche Seelische Gesundheit, möchten wir Ihnen jemand Besonderes vorstellen: den Potsdamer Künstler Frank Lipke. Frank Lipke ist Teilnehmer am Programm der Tagesstätte Mittendrin und nutzt deren Atelierräume für seine Kunst.

Seine Kolleg*innen, die Mitarbeiter des Tageszentrums und Besucher beobachten immer wieder fasziniert, wie die Werke Frank Lipkes langsam entstehen: wie aus einer mit Bleistift gezeichneten Skizze, die zunächst nur schlicht die Idee andeutet, Stück für Stück mit dem Einsatz der Farben ein Motiv entsteht, das immer mehr an Tiefe gewinnt und den Betrachter in seinen Bann zu ziehen vermag. Auf die Frage, wie sie ihn beschreiben würden, fallen folgende Begriffe: „aufmerksam“, „ein guter Beobachter“, „zurückhaltend“, „gemütlich“, „begabt“, „kreativ“ und „großartig“. 🙂

Frank Lipke malt lange an seinen Bildern: bis zu 10 Tage. Und während des Prozesses scheint es, als wisse er schon ganz genau, wie das fertige Bild werden wird, als würde er es direkt aus seiner Phantasie auf die Leinwand übertragen.

Herr Lipke arbeitet meist in Serien. Er nähert sich seiner Idee von verschiedenen Perspektiven: variiert, verfeinert und vervollständigt so lange, bis er zufrieden ist. Eine dieser Serien kreist um das Werk Botticellis, das ihn fasziniert. Er beschreibt, wie die Kunst von großen Meistern auf ihn wirkt und zur eigenen Motivwahl inspiriert.

Frank Lipke malt erst seit ca. acht bis neun Jahren. Er hat sich das Malen völlig selbstständig angeeignet, verschiedene Techniken ausprobiert und damit für sich die Möglichkeit geschaffen, das zum Ausdruck zu bringen, was ihn bewegt. Etwas, was ihm im direkten Kontakt eher schwer fällt und dennoch den Weg nach „draußen“ finden soll.

Was ich sehe / von Frank Lipke:

„Mich haben immer schon alte Fotos oder alte Gemälde interessiert und fasziniert, wenn Menschen darauf abgebildet sind. Besonders bei Porträts habe ich oft etwas Lebendiges und Ausdrucksstarkes in diesen Gesichtern gesehen, gefühlt und wahrgenommen. Ich habe Leben, Ausstrahlung, Gefühl oft in diesen Bildern, in diesen Gesichtern gespürt.

Ich konnte mir immer vorstellen, diesen Menschen leibhaftig gegenüber zu stehen und ihnen und ihren Lebensgeschichten zuzuhören. Oder ihnen morgens oder abends in der Straßenbahn gegenüber zu sitzen und in ihren Gesichtern sehen zu können, was sie letztens erlebt haben oder was sie von den kommenden Tagen erwarten.

In Sandro Botticellis Werk „Primavera“, entstanden 1477 – 1483 habe ich, ohne irgendeine Interpretation zu berücksichtigen, in den Gesichtern Leben, Charakter, Ausstrahlung gefühlt und wahrgenommen, die mich irgendwie faszinieren. Ich habe natürlich versucht, diese Gefühle, diese Eindrücke, die Gedanken aufzufangen, einzufangen, festzuhalten und dann umzusetzen und zu interpretieren und mit meinen Mitteln darzustellen.“

Die Potsdamer Kunsttherapeutin Beata Kruk war 2019 in der Schweiz und hat dort die Idee des „Living Museum“ kennen gelernt: ein Ort für Menschen mit Psychiatrieerfahrung, um künstlerisch aktiv zu werden und den eigenen Weg ins Kunstschaffen zu finden. Wir haben Frau Kruk gefragt, was sie am Living Museum begeistert und was das Besondere an diesem Konzept ist.

Tageszentrum: „Liebe Frau Kruk, Sie waren als Kunsttherapeutin in der Schweiz und haben dort im ‚Living Museum‘ in Wil gearbeitet. Wie sind Sie dazu gekommen?“

Beata Kruk: „Im Rahmen meiner Klinisch Kunsttherapeutischen Ausbildung habe ich nach Praxiserfahrung gesucht, die meinem Verständnis der kunsttherapeutischen Arbeit entspricht und das Potential von Kunst tatsächlich ausschöpft. In der Umgebung wurde ich jedoch nicht fündig. Die ‚Ateliers – Living Museum‘  in Wil entdeckte ich später bei der Recherche zu meiner Abschlussarbeit. Es hat mich so begeistert, dass ich trotz der Entfernung gleich den Kontakt zu Frau Dr. Rose Ehemann, der Leiterin der Ateliers, gesucht habe und mich tatsächlich bald darauf auf den Weg in die Schweiz machen konnte.“

Tageszentrum „Was ist ein ‚Living Museum‘?“

Beata Kruk: „Das ‚Living Museum‘ ist ursprünglich ein Konzept aus New York. Ins Leben gerufen wurde es 1983 von dem ungarischen Psychologen und Künstler Dr. Janos Marton und dem polnischen Künstler Bolek Greczynski  vor dem Hintergrund der europäische Art- Brut- Bewegung.

Es ist ein offenes Atelier für Menschen mit Psychiatrieerfahrung und  gleichzeitig ein Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst. Es ist ein absoluter künstlerischer Freiraum, ermöglicht selbstbestimmtes Handeln und bietet den Halt einer sozialen Gemeinschaft. Vor allem jedoch ermöglicht es einen Identitätswandel, der aus einem psychisch belasteten Menschen eine Künstlerpersönlichkeit erschafft. Diese Künstleridentität bietet eine anerkannte Rolle innerhalb der Gesellschafft und die Möglichkeit, sich mit den persönlichen Fähigkeiten im gesellschaftlichen Dialog einzubringen und ihn aktiv mitzugestalten.

Das hohe künstlerische Potenzial von Menschen, die psychische Extremerfahrungen gemacht haben, wird im Living Museum gewürdigt und in Ausstellungen der Öffentlichkeit präsentiert. Die Kunst, die im Living Museum entsteht, ist absolut authentisch: sie entsteht meist aus einer existenziellen Notwendigkeit heraus, zeigt deren Realität ungeschönt und unmaskiert und will sich weder anpassen noch gefallen. Deshalb sind die Werke für uns so intensiv und inspirierend.“

Tageszentrum: „Für wen ist das Living Museum gedacht – wer kann dort kreativ tätig sein?“

Beata Kruk: „Die ‚Ateliers – Living Museum‘ in Wil sind ein Angebot für alle stationären und ambulanten Patienten der Psychiatrischen Kliniken St. Gallen.“

Tageszentrum„Gibt es einen festen Tagesablauf oder wie ist der Alltag dort organisiert?“

Beata Kruk: „Der Alltag im Living Museum besteht vor allem aus selbstständiger künstlerischer Arbeit mit verschiedensten Materialien und Medien der bildenden Kunst. Bis zu 100 Arbeitsplätze können zur Verfügung gestellt werden. Jeder schafft frei und unabhängig, verfeinert seine Technik und setzt sich im künstlerischen Prozess mit seinem Werk auseinander. Ein Team aus Künstlern und Therapeuten ermöglicht die nötige Atmosphäre, einen schützenden Raum und begegnet den Menschen mit einer respektvollen, verlässlichen und offenen Haltung auf Augenhöhe. Die Mitarbeiter sind neugierig, empathisch und humorvoll. In dieser Atmosphäre finden die Kunstschaffenden zur Selbstwirksamkeit, Kraft und neuem Lebensmut. 

Wichtiger Bestandteil der ‚Ateliers – Living Museum‘ in Wil ist das dazugehörige Café, das ebenfalls von den Patienten selbst betrieben wird. Es ist ein wichtiger Ort für Schaffenspausen, Gespräche, Ausstellungen und den Kontakt zur Außenwelt: es steht mit seinem leckeren und gesunden Angebot für alle Besucher offen.“

Tageszentrum „Wenn Sie zurück denken: gab es einen Moment, der Sie besonders nachhaltig beeindruckt hat?“

Beata Kruk: „Besonders beeindruckend war es für mich einige Monate nach meinem Aufenthalt wieder in die Schweiz zu gehen, um die Kunstmesse in den ‚Ateliers – Living Museum‘ mitzuerleben. Einige der Patienten, die ich während meines Aufenthaltes betreut hatte, sah ich wieder. Sie haben in dieser Zeit unglaubliche Fortschritte gemacht, nahmen an der Messe teil und verkauften ihre Werke erfolgreich zu den marktüblichen Preisen. Es war wunderbar zu sehen, wie stolz und glücklich sie waren und wieviel psychische Stabilität sie dadurch gewonnen haben!“

Tageszentrum: „Was haben Sie von Ihrem Aufenthalt in Wil für sich mitgenommen?“

Beata Kruk: „Ich habe immer nach einem Bereich gesucht, indem die Potentiale künstlerischer Prozesse sinnvoll und nachhaltig eingesetzt werden können und Menschen zuteilwerden, die daraus Positives für sich selbst schöpfen können. Im Konzept ‚Living Museum‘ ist all das zu finden. Und schon während meines Aufenthaltes dort stand für mich fest, dass das Angebot auch die Menschen in Potsdam zur Verfügung stehen sollte.“

Tageszentrum: „Wäre so ein Living Museum nicht auch was für Potsdam?“

Beata Kruk: „Definitiv! Das Living Museum ist bereits international vertreten, z.B. in Holland, Korea, Brasilien. Weitere Standorte sind im Aufbau. Auch die Pläne für ein ‚Living Museum Potsdam‘ stehen und werden in naher Zukunft umgesetzt, als ersten Standort seiner Art in Deutschland. Die Institution besitzt eine schlanke Organisationsstruktur und dadurch das Potenzial, Gesundheitssysteme finanziell zu entlasten. Sie belebt Kultur und Gesellschaft, leistet einen Beitrag zur Teilhabe und fördert eine neue Wahrnehmung.

Das ‚Living Museum Potsdam‘ wird zusätzlich ein Residenzprogramm für Bildende Künstler beinhalten, um voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu inspirieren.“

Tageszentrum „Das klingt unglaublich spannend. Vielen Dank, Frau Kruk, für Ihre Zeit und wir drücken auf jeden Fall die Daumen für ein Living Museum Potsdam!“