Seit Juli 2023 steht kritisch kranken Patient*innen, deren Angehörigen sowie den Mitarbeitenden der Intensivstationen des Klinikum EvB in Potsdam eine eigene psychologische Betreuung zur Verfügung – zeitnah sowie an den Bedarf und die Abläufe der Stationen angepasst. Das Konzept des psychologischen Angebots ist angelehnt an die „Sektion Psychologische Versorgungsstrukturen in der Intensivmedizin“ der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Dass Psycholog*innen als fester Bestandteil auf Intensivstationen arbeiten, ist in Deutschland bislang nicht die Regel. Eine Ausweitung des psychologischen Angebots auf andere Bereiche, zum Beispiel die Zentrale Notaufnahme, ist in Planung.
„Psychologische Ausnahmesituationen sind in der Intensivmedizin die Regel, sowohl für die Patienten und deren Angehörige, aber auch für unser intensivmedizinisches Personal. Deshalb freuen wir uns sehr, dass wir nun eine psychologische Versorgung fest auf unseren beiden Intensivstationen etablieren konnten. Mit Frau Schönberg haben wir eine ausgewiesene Expertin an unserer Seite, die allen Beteiligten in Ausnahmesituationen schnell und unkompliziert Hilfe im Umgang mit massiven und belastenden Situationen bietet“, erklärt Prof. Dr. med. Michael Oppert, Leiter des Zentrums für Notfall- und Internistische Intensivmedizin.
Versorgungslücke schließen
Nicht erst seit der Corona-Pandemie steht fest: Die Arbeit auf Intensivstationen ist für Ärzt*innen und Pflegefachpersonen oft eine Herausforderung. Schwerstkranke Patient*innen in Krisen oder Todesnähe, die Konfrontation mit Angehörigen, die sich aus Angst um das Leben eines geliebten Menschen in einer psychischen Ausnahmesituation befinden, der beständige Einsatz von Medizintechnik und der hohe Geräuschpegel: all diese Faktoren können das Personal, aber auch die Patient*innen und deren Angehörige an ihre Belastungsgrenze bringen.
„Die psychologische Betreuung von Patienten und deren Angehörigen wurde bisher von den Ärzten und den Pflegefachpersonen der Intensivstationen übernommen. Aus Zeitmangel können wir diese zeitintensive Betreuung leider oft nicht so gewährleisten, wie wir es uns wünschen würden“, so Dr. med. Anke Reibetanz, Oberärztin der Internistischen Intensivstation und Mitinitiatorin der Einführung der psychologischen Betreuung. „Auch die im Krankenhaus übliche psychologische Betreuung über den Konsildienst reicht für Intensivpatienten und deren Angehörige oft nicht aus, da dieser meist für mehrere Stationen zuständig ist. Diese Lücke kann nun geschlossen werden.“
Die Aufgaben von Frau Schönberg, Psychologische Psychotherapeutin und Fachpsychologin für Palliative Care, sind vielfältig. Neben der psychologischen Betreuung von Intensivpatient*innen begleitet sie Angehörige psychologisch, um die akute Belastungssituation bestmöglich zu bewältigen. „Im Rahmen ihrer Arbeit auf den Intensivstationen nimmt Frau Schönberg an Visiten und Teambesprechungen teil und berät uns im Hinblick auf die Kommunikation mit Patienten und Angehörigen sowie innerhalb unseres Teams. Ein Hauptbestandteil ihrer Arbeit ist auch die psychologische Betreuung unseres Personals der Intensivstation sowie die konzeptionelle Weiterentwicklung der psychologischen Arbeit in der Intensivmedizin“, ergänzt Lutz Nibbe, Leitender Oberarzt des Zentrums für Notfall- und Internistische Intensivmedizin.
Psychologische Betreuung von Patient*innen
Intensivpatient*innen werden im Rahmen ihrer Behandlung mit potenziell traumatisierenden Situationen konfrontiert. Neben der Sorge um die eigene Genesung können auch wechselnde Bewusstseinszustände durch die Erkrankung oder die medikamentösen Sedierungen ein Gefühl des Kontrollverlusts, des Intimitätsverlusts und permanente Unruhe auslösen. Posttraumatische Störungen können die Folge sein.
Schwerstkranke Patient*innen der Intensivstationen werden im Klinikum EvB kontinuierlich auf eine akute Belastungsreaktion überprüft, um ggf. der Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung entgegenzuwirken. „Mit ihrer Arbeit trägt Frau Schönberg dazu bei, das aktuelle Wohlbefinden der Patienten zu verbessern und Belastungssymptome zu reduzieren“, fasst Jana Wricke, pflegerische Leitung der Operativen Intensivstation und Mitinitiatorin der Einführung der psychologischen Betreuung die Vorteile der psychologischen Betreuung zusammen. Langfristig können dadurch psychische Erkrankungen in Folge des Aufenthalts auf einer Intensivstation vermieden werden. Wenn Patient*innen es wünschen, wird eine psychologische Betreuung auch im Anschluss an die Zeit auf der Intensivstation oder nach Entlassung aus dem Klinikum organisiert.
Für ehemalige Intensivpatient*innen kann der Abgleich der eigenen Erinnerung und das Verarbeiten der Erlebnisse wichtig sein. Dabei kann ein Intensivtagebuch, das von Angehörigen, Pflegefachpersonen, Ärzt*innen, Therapeut*innen und Besuchenden geschrieben wird, helfen. Eingetragen werden – nach einer Zusammenfassung der Geschehnisse im Vorfeld der Aufnahme auf der Intensivstation – Beobachtungen, Vorkommnisse, Entwicklungen und das Befinden der Patient*innen. Die Einträge werden unterzeichnet, sodass sie für die Patient*innen gut nachvollziehbar und zuzuordnen sind. Das Etablieren von Intensivtagebüchern wird als weiterer Baustein für die psychologische Betreuung der Patient*innen der Intensivstation im Klinikum EvB angestrebt.
Psychologische Hilfe für Angehörige
Angehörige von Intensivpatient*innen befinden sich in einer emotionalen Ausnahmesituation. Sie sind mit dem unbekannten Umfeld der Intensivstation konfrontiert, Sorgen und Ängste um ihre Angehörigen sind auszuhalten und zeitgleich werden komplexe medizinische Sachverhalte besprochen. Insbesondere dann, wenn die Angehörigen stellvertretend für nicht entscheidungsfähige Patient*innen deren Willen benennen und vertreten, finden sich verstärkt Ängste und Sprachlosigkeit.
Die psychologische Betreuung der Angehörigen während des Aufenthalts auf der Intensivstation trägt dazu bei, dass deren emotionale Bedürfnisse adressiert werden, die Stressbelastung sinkt und so das Vertrauen in das Behandlungsteam und die eigene Durchhaltekraft gestärkt wird. Frau Schönberg: „Manche Angehörigen können aufgrund der aktuellen Situation keinen klaren Gedanken mehr fassen. In meinen Gesprächen mit Partnern, Kindern oder Eltern geht es oft erst einmal darum, zuzuhören und Orientierung zu schaffen. Wie geht es jetzt weiter? An dieser Stelle ist ein stützendes Gespräch oft hilfreich. Es lassen sich Worte für das Unfassbare finden und die Gedanken können sich sortieren, auch praktische Fragen, z.B. wer kann die Kinder aus der Schule abholen, finden einen Platz.“
Eine oft übersehene Gruppe Angehöriger sind Kinder. Ihre Besuche auf den Intensivstationen im Klinikum EvB werden deshalb gezielt vor- und nachbereitet. Zum gut gemeinten Schutz der Kinder werden sie häufig von Intensivstationen ferngehalten. Ein aktiv unterstützter Besuch der Kinder im Rahmen der psychologischen Betreuung hilft ihnen jedoch, aktiv mit der Situation umzugehen. Sie können sich einbringen und teilhaben.
Psychologische Betreuung des Intensivpersonals
Mitarbeitende von Intensivstationen stehen unter einer erheblichen emotionalen Belastung, die sich aus hoher Verantwortung und der hohen Arbeitsdichte in Grenzsituationen ergibt. Nicht ohne Grund zählen sie zu den hoch belasteten Berufsgruppen im deutschen Gesundheitssystem. In einigen außerklinischen Bereichen sind Notfallseelsorger*innen feste Bestandteile der Teams. Mitarbeitenden in der stationären Versorgung, etwa in Notaufnahmen oder auf Intensivstationen, stehen solche Angebote bislang kaum zur Verfügung.
Im Klinikum EvB hilft die Psychotherapeutin dabei, Überlastungs- und Überforderungserleben des Behandlungsteams schneller zu erkennen. Sie bietet niedrigschwellige Gesprächsangebote sowie unkomplizierte Hilfe im Umgang mit deutlichen, belastenden Gefühlen, hilft diese einzuordnen und zu entpathologisieren. „Wir erleben auf der Intensivstation alle menschlichen Gefühlslagen wie Freude, Trauer, Angst und Wut. Fast immer sind es Extreme, mit denen wir umgehen. Das kann zusätzlich zu der wahrlich intensiven Arbeit auf Dauer belasten“, beschreibt Dr. med. Anke Reibetanz, Oberärztin der medizinisch-internistischen Intensivstation des Klinikum EvB. „Frau Schönberg gibt uns als feste Ansprechpartnerin ein Gefühl der Sicherheit. Wir können mit ihr über belastende Situationen sprechen und versuchen, Lösungen zu finden. Durch die Möglichkeit, sie jederzeit anzusprechen und kurzfristig die eigenen Konflikte besprechen zu können, sind die Kollegen schneller entlastet.“