Potsdam, 4. Februar 2024

Portrait Prof. Dr. med. Karin Jordan, Chefärztin der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin

Im Gespräch mit Prof. Dr. med. Karin Jordan, Chefärztin der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin sowie Leiterin des Onkologischen Zentrums

Jährlich erkranken in Deutschland knapp eine halbe Million Menschen erstmals an Krebs, insgesamt leben mehr als 4,5 Millionen Menschen in Deutschland mit einer Krebsdiagnose. Als häufigster Krebs bei Männern gilt der Prostatakrebs, gefolgt von Lungen- und Darmkrebs, bei Frauen der Brustkrebs, gefolgt von Darm- und Lungenkrebs. Die Chancen eine Krebserkrankung zu überleben oder dauerhaft krebsfrei zu bleiben steigen von Jahr zu Jahr. Wissenschaftler weltweit haben in den vergangenen Jahrzehnten Krebsbehandlungen präziser und damit erfolgreicher gemacht.

Anlässlich des Weltkrebstages am 04. Februar haben wir Prof. Dr. med. Karin Jordan, Chefärztin der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin sowie Leiterin des Onkologischen Zentrums zum Interview getroffen, um unter anderem über neue, individuelle Therapien zu sprechen, die Hoffnung geben.

Wo finden an Krebs erkrankte Patientinnen und Patienten die beste Behandlung?

Prof. Dr. Jordan: Experten für Krebserkrankungen finden Patienten vor allem in zertifizierten Krebszentren. Die Diagnostik und Therapie läuft dort nach modernsten Leitlinien. Diese Zentren werden jährlich von der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) auf den Prüfstand gestellt. Mindestbehandlungsmengen müssen erreicht und nachgewiesen werden. Studien zeigen, dass die Erfolgschancen der Therapie in diesen Zentren größer sind. Am Klinikum Ernst von Bergmann ist sowohl das onkologische Zentrum von der DKG zertifiziert, als auch unsere Zentren für Brust-, Darm-, Speiseröhre und Bauchspeicheldrüsenkrebs, das gynäkologische Krebszentrum, das Zentrum für Hämatologische Neoplasien, das Kopf-Hals-Tumorzentrum sowie das Neuroonkologische Zentrum.

Mehrmals wöchentlich finden interdisziplinäre Tumorkonferenzen statt, in denen u.a. Onkologen, Chirurgen, Strahlentherapeuten, Pathologen, Radiologen, Internisten und Fachärzte je nach Tumorart zusammensitzen. Wir besprechen jeden einzelnen Patient gemeinsam und legen die bestmögliche Therapie fest.

Welche vielversprechenden Behandlungsansätze gibt es bei Krebserkrankungen?

Prof. Dr. Jordan: Das zunehmende Wissen über die Entstehung von Krebserkrankungen allgemein sowie über die Rolle einzelner Gene und Genmutationen hat in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass personalisierte und zielgerichtete Krebstherapien entwickelt werden konnten. Die klassischen Bausteine – Operation, Strahlen- und die klassische Chemotherapie – sind bei vielen Krebserkrankungen nach wie vor die Therapie der Wahl. Bestimmte Krebserkrankungen benötigen jedoch spezifische Krebsbehandlungen. Dass bedeutet, dass eine Krebstherapie auf die molekularen Eigenschaften des jeweiligen Tumors zugeschnitten wird. Wenn zwei Personen die gleiche Krankheit haben, zum Beispiel Brustkrebs, bedeutet das nicht, dass die Erkrankungen identisch sind. Krebserkrankungen können verschiedene Ursachen und dadurch auch unterschiedliche Eigenschaften haben, die wir für die Therapie gezielt nutzen können.

Neue Behandlungsformen sind beispielsweise die Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren beim Lungenkarzinom, beim Magenkarzinom sowie bei Dickdarmkrebs, sowie die CAR-T-Zell-Therapie bei Lymphdrüsenkrebs. Mit diesen Therapieformen können wir die Patienten gut behandeln und ihnen wertvolle Lebenszeit schenken.

Welche Krebsarten lassen sich im Allgemeinen inzwischen gut behandeln?

Prof. Dr. Jordan: Gut behandeln können wir hier in der Klinik für Hämatologie und Onkologie zum Beispiel viele Formen des Lymphdrüsenkrebs sowie akute Leukämien. Bei Morbus Hodgkin, den wir sehr viel behandeln, liegen z.B. die Heilungschancen bei über 90 Prozent.

Wenn man an eine Krebserkrankungen denkt, denkt man gleichzeitig auch an Chemotherapie. Ist bei jeder Krebserkrankung eine Chemotherapie nötig?

Prof. Dr. Jordan: Nein, nicht jeder Patient benötigt eine Chemotherapie. So unterschiedlich die einzelnen Krebserkrankungen sind, so unterschiedlich sind auch die jeweiligen Therapieoptionen. Die zielgerichteten Therapieformen, die Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren oder die CAR-T-Zell-Therapie, sind keine klassische Chemotherapie. Eine Chemotherapie soll die im Körper vorhandenen Krebszellen zerstören. Sie zielt auf alle Zellen des Körpers, die sich teilen – sowohl Tumor- als auch gesunde Zellen. Für gezielte Behandlungen nutzen wir mit verschiedenen neuartigen Arzneistoffen bestimmte Eigenarten des Krebsgewebes aus. Das patienteneigene Immunsystem bekommt quasi einen Schubs, um die Krebszellen zu erkennen und aktiv anzugreifen, um sie zu zerstören.

Bestimmte Formen des Brustkrebses können beispielsweise in Form einer antihormonellen Therapie behandelt werden. Bei akutem Blutkrebs ist die Chemotherapie jedoch nach wie vor die primäre Behandlungsform.

Wie kann man Nebenwirkungen der Krebstherapie am besten in Schach halten?

Prof. Dr. Jordan: Der Anspruch, den wir hier an uns haben ist, dass Nebenwirkungen möglichst gar nicht erst auftreten. Das nennt man supportive Therapie. Hier am Klinikum Ernst von Bergmann sind wir einer der Vorreiter bei der supportiven Therapie. Vor dem Start der Therapie erhalten unsere Patienten – abgestimmt auf die anschließende Therapieform – eine Prämedikation, damit therapiebedingte Nebenwirkung möglichst vermieden werden. Die Supportivtherapie ermöglicht, dass Patienten ihre wichtige Krebsbehandlung kontinuierlich fortsetzen können.

Welche Rolle spielt die Palliativmedizin bei einer Krebserkrankung?

Prof. Dr. Jordan: Palliativmedizin spielt immer dann eine Rolle, wenn wir mit therapeutischen Maßnahmen keine Heilung der Krebserkrankung mehr erzielen können und wo der Patient mitunter starke Symptome aufgrund der Tumorerkrankung hat. Palliativmedizin ist ein integraler Bestandteil im Bereich der Onkologie, auch in unserer Klinik. Oberstes Ziel der Palliativmedizin ist die Steigerung der Lebensqualität in all ihren Facetten von schwer und unheilbar erkrankten Menschen.

Was kann jeder einzelne tun, um eine Krebserkrankung möglichst zu vermeiden?

Prof. Dr. Jordan: Das Wichtigste ist es, Vorsorgemöglichkeiten und -untersuchungen wahrzunehmen. Die gesetzlichen Krankenkassen biete eine ganze Reihe von Vorsorgeuntersuchungen an, die in vielen Fällen mit wenig Aufwand auf der Seite es Patienten verbunden sind, wie das Hautkrebsscreening. Auch die Impfung gegen Humane-Papillom-Viren (HPV) für Jungen und Mädchen ist empfehlenswert. Ein gesunder Lebenswandel ist grundsätzlich sinnvoll. Aber, ein Allheilmittel, das uns davor schützt, nicht irgendwann im Laufe des Lebens an Krebs zu erkranken, gibt es leider nicht.

Vielen Dank für das Gespräch.