Wachoperation

Wird man zum ersten Mal mit dem Vorschlag konfrontiert, sich im wachen Zustand einer Operation am Gehirn zu unterziehen, so kann dies im ersten Moment als natürliche Reaktion Angstgefühle hervorrufen. Als wäre die Diagnose "Hirntumor" nicht schon genug Aufregung! Im Folgenden möchten wir Ihnen mehr Hintergrundwissen vermitteln und gute Argumente darbieten, weshalb Sie in speziellen Fällen eigentlich weniger Angst vor einer Wachoperation als vor einer Operation in Allgemeinanästhesie haben müssen.

Fragen und Antworten zur Wachoperation

Sieht man einmal von prähistorischen Zeiten oder Operationen am Kopf und Gehirn im Mittelalter ab, so beginnt die Geschichte der ersten Wachoperationen in der modernen Neurochirurgie am Anfang / in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Die deutschen Ärzte Otfried Foerster und Theodor Krause wendeten zuerst direkte Stromapplikation an, um die Funktionen auf der Hirnoberfläche (Cortex) zu lokalisieren. Während der Unruhen des 2. Weltkrieges geriet diese Methode der elektrokortikalen Stimulation in Europa wieder in Vergessenheit. Es war der Kanadier Wilder Penfield, welcher aufbauend auf den Erkenntnissen von Foerster und Krause, die systematische Lokalisation von wichtigen Hirnfunktionen (insbesondere der Sprachfunktion) mittels elektrokortikaler Stimulation weiter voranbrachte. Man kann sagen, dass die Wahrnehmung der Wichtigkeit dieser Technik unter Neurochirurgen durch die Entwicklung moderner bildgebender Verfahren wie das CT, MRT und die Neuronavigation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder in den Hintergrund rückte, nun aber wieder eine Renaissance erfährt - mehr dazu weiter unten.

Mit der Technik der elektrokortikalen Stimulation mit direktem feedback des wachen Patienten können wichtige Hirnareale als solche identifiziert werden. Man bezeichnet diese Hirnareale, welche bei jedem Menschen leicht unterschiedlich angelegt sind, auch als eloquenten Cortex. Dieser kann nun bei der mikrochirurgischen Tumor-Entfernung (Resektion) geschont werden. Die Wachoperation senkt somit erwiesenermassen das Komplikations-Risiko. Zudem ermöglicht es ein grösseres Resektionsausmass, d.h. mehr Tumorgewebe kann entfernt werden, wobei sich der Operateur währenddessen sicher ist, nichts "kaputt zu machen". Umso mehr Tumor entfernt wird, umso besser ist die weitere Prognose des Krankheitsverlaufs.

Doch. Als eine der erwähnenswerten Bildgebungen ist die Funktionelle Magnetresonsanztomographie zu nennen, welche Aufschluss über Hirnfunktionen gibt. Allerdings ist diese Methode weniger zuverlässig als die elektrokortikale Stimulation beim wachen Patienten.

Zuallererst wird die Kopfhaut mit einem lokalen Betäubungsmittel unempfindlich gemacht. Da der Schädel und das Gehirn keine Schmerzrezeptoren haben, spürt man auch keine Schmerzen, wenn der Kopf in einer Klemme am Operationstisch fixiert wird. Da der Patient während der elektrokortikalen Stimulation kooperativ sein soll, kann in der ersten Phase bei der Lagerung (diese ist auf der Seite) und der Schädeleröffnung nur eine leichte Sedierung erfolgen; d.h. manchmal schlafen die Patienten einfach, aber atmen dabei selbstständig. Wie gesagt, dies ist praktisch schmerzfrei. Das Bohren am Schädel ist laut, dauert aber nur Sekunden. Dann muß man sich einfach sein Motorrad oder den Ferienflieger vorstellen, der gerade zum Lieblingsurlaubsort abhebt. Nachdem das Gehirn nun "frei liegt" und die Sedierung gestoppt ist, legt der Operateur eine kleine Sonde auf, um die Hirnfunktion über einem kleinen Areal mit einem schwachen elektrischen Strom zu stimulieren. Dies dauert nur einen kurzen Moment und ist schmerzlos. Der Patient verspürt ein Kribbeln an der Zunge, im Gesicht oder an den Extremitäten oder es wird ein Zucken der Muskeln ausgelöst. Stimuliert man in der Sprachregion, so hat der Patient in diesem Moment Mühe zu sprechen. Die somit als funktionell relevant befundenen (eloquenten) Hirnareale werden bei der sich darauf anschliessenden Operation geschont. Von all diesen Vorgängen sieht der Patient nichts, da alles mit einem sterilen Tuch abgedeckt ist und das Blickfeld wie aus einem Zelt heraus zum Narkosearzt und den weiteren Teammitgliedern im Operationssaal gerichtet ist. Während der gesamten Prozedur kann der Patient seinen Operateur also auch nicht sehen, aber mit ihm reden. Unsere Operateuere haben viel Erfahrung mit dieser Art von Operation und leiten Sie durch alle Schritte sicher durch.

Im Anschluss an die elektrokortikale Stimulation, welche insgesamt etwas 15 bis 20 Minuten dauert, wird der Tumor mikrochirurgisch entfernt. Für das "Zumachen", also das Wiedereinsetzen des Knochens und das Wiederverschliessen des Skalps, kann die Sedierung wieder erhöht werden, sodass der Patient dabei bestenfalls wieder schläft.

Unsere Kandidaten für eine Wachoperation, wenn diese denn angezeigt ist, werden gut selektiert. D.h. bei extrem angstvollen Patienten und selbstverständlich alle denjenigen, die eine Wachoperation ablehnen, führen wir keine durch. Durch eine gute Vorbereitung des Patienten durch unser Team gelingt es i.d.R,. grössere Angstzustände zu verhindern.

Ein paar Zahlen: In einer Schweizer Studie an Patienten, welche sich einer Wachoperation unterzogen hatten, gaben nur 11 % an, grössere Angst gehabt zu haben. 33 % hatten ein wenig Angst. Die Hälfte (56 %) hatte gar keine Angst während des Eingriffs. Es gab hierbei keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern. Alle Patienten (100 %) gaben an, sich wieder für eine Wachoperation zu entscheiden.

Quelle

Joswig et al. Awake Craniotomy: First-Year Experiences and Patient Perception. World Neurosurg. 2016 Jun;90:588-596.e2.